Schluss mit Vorurteilen – Mit dem Bulli durch die Türkei

Wir fuhren von Bansko aus, ohne viele Pausen zwischendurch, direkt nach Istanbul. Nach den Aufständen in der Türkei, dem vermeintlichen Putschversuch, vielen negativen Nachrichten über Mr. E, waren wir am Anfang sehr besorgt über unsere Sicherheit. Nicht wegen den Menschen, eher aufgrund der Polizei, dem politischen System und dem Staat dahinter. Wir hatten zum Glück Kontakt zu einem ranghohen Offizier der Polizei über einen Kollegen von Ragle, was uns ein bisschen Sicherheit gab. Auch informierten wir uns vorher in Reiseberichten über die Türkei von anderen Bloggern mit jedoch sehr gemischten Resultaten.

Was uns als allererstes auffiel, war das Ergebnis der anhaltenden Inflation und Rezession in welcher sich das Land zurzeit befindet. Alles war spottbillig für uns und gleichzeitig teuer für Einheimische. Am besten erkläre ich das am Beispiel Brot: Innerhalb der letzten Jahre ist der Preis von einem Lira auf drei Lira gestiegen. Diese Steigerung um 300% lässt sich auf viele andere im Leben benötigte Dinge direkt anwenden. Trotzdessen war das meiste für uns immer noch halb so teuer wie zum Beipiel in Deutschland. Der Sprit kostete (bis zum Beginn des Krieges in der Ukraine) gerade mal einen Euro pro Liter.

Unsere erste Station war die Millionenmetropole Istanbul. Wir hatten uns für zehn Tage ein Apartment gebucht um die Stadt besser erleben zu können. Corona wurde sehr locker genommen und das Tragen einer Maske war für viele eher eine Empfehlung. Wir machten viele Kilometer zu Fuß in der Stadt, besuchten sowohl die europäische als auch die asiatische Seite und genossen das Flair der Stadt. Trotz unserer vieler Kilometer zu Fuß entdeckten wir gerade mal 10 Prozent der großen Metropole. Wir sind nicht sehr interessiert in Museen oder alte Bauwerke, deswegen deckten wir diesen Teil mit einer Stadtführung und einer Bootsfahrt auf dem Bosporus ab. Es ist alles schön anzuschauen und die Geschichte ist sehr interessant aber wir beide haben auf solche Dinge nie den Schwerpunkt gelegt. Wir lieben es durch große Städte zu spazieren, das Flair zu genießen, lokale Spezialitäten zu probieren und viele Eindrücke zu gewinnen. Dabei versuchen wir auch (so gut wie es eben geht) touristische Plätze zu vermeiden. Nach ein paar schönen Tagen in Istanbul zog es uns wieder auf die Straße.

Zusammenfassend über Istanbul ist zu sagen, dass man nicht viele Tage braucht um die großen touristischen Attraktionen abzuklappern. Wir wären länger geblieben um die kleinen Ecken und Winkel der Stadt, mit den gemütlichen Cafes und Restaurants noch besser zu erkunden. Auch alle großen Basare bestehen oft aus demselben Plunder und angeblichen Markenklamotten. Nicht nur Einheimische haben uns davon abgeraten auf einem Bazar einkaufen zu gehen, von Obst und Gemüse mal abgesehen. Auch kann man sich sicher sein, dass sobald nirgendwo ein Preisschild zu sehen ist, man als Tourist das dreifache bezahlt. Auch alles Ergebnis einer schwachen Ökonomie die seit ungefähr drei Jahren anhält. Trotzdessen ist die blühende Haupstadt eine pulsierende Ader welche nie zur Ruhe kommt und für jeden etwas zu bieten hat.

Nach Istanbul starteten wir unsere Fahrt durch die Türkei an der Südküste. Wir fuhren über die großen Städte Izmir, Bodrum, Antalya, Alanya bis nach Mersin immer an der Küste entlang und hatten eine wunderbare Zeit. Das Essen ist überall sehr billig und Obst und Gemüse konnte überall an der Straße oder im Laden frisch erworben werden. Egal ob Bananen, Kiwis, Orangen, Erdbeeren, ob Kartoffeln, Knoblauch, Oliven, Pistazien oder Avokados, alles wächst und gedeiht in der Türkei und schmeckt natürlich umso besser , da es nicht tausende Kilometer in einem Frachtcontainer gereift ist. Auch in den größeren Supermärkten fiel uns auf, dass viele der in Europa nur allzu bekannten Produkte der Marken wie Ferrero, Nestle etc. nicht im Sortiment waren und oft ein Pendant aus türkischer Produktion hatten. Es war wie im Paradies für uns.

 Wir konnten uns überall mit dem Auto hinstellen und übernachten ohne, dass es jemanden störte. Es gab überall Quellen mit frischem Trinkwasser (meist am Fuße eines Berges) und die Sonne lieferte uns mehr als reichlich Strom. Die großen Hauptstraßen waren alle 2 Spurig und traumhaft zu fahren, ohne Maut. An vielen Plätzen trafen wir unterschiedliche interessante Leute und hatten viele nette Gespräche. Eins haben die Türken allerdings noch nicht gelernt: Müll gehört nicht in die Natur sondern in den Mülleimer. Wir haben nur zu oft Türkische Familien beobachten können die nach einem Picknick am Strand ihren Müll einfach liegen ließen. Dieser wurde dann von den meist mit anwesenden wilden Hunden zerpflückt und zerstreut. Jeder Fluß, jeder Strand und jeder Wald in der Nähe von Raststellen oder Plätzen am Strand für die Öffentlichkeit, war zugemüllt. Es war meistens schwierig Fotos zu machen auf denen kein Müll zu sehen ist. Für Türken ist das Autofahren sehr teuer in ihrem eigenen Land. Die Steuern werden billiger je älter das Auto und je kleiner der Motor. Das führt dazu, dass die meisten Leute einen Tofas fahren. Diese Autos sind zwischen 30 und 50 Jahren alt und auch unter dem Namen Fiat 131 bekannt. Auch dadurch fühlte sich die Fahrt durch ländliche Gegenden wie eine Reise durch die Vergangenheit an. Einfache Farmer, Schäfer, Hirten und überall Tofas…es war eine andere Welt fernabseits der Großstadt. Viele konnten zu unserem Erstaunen auch die deutsche Sprache sprechen. Die meisten von ihnen waren damals in den 70’ern nach Deutschland gekommen um zu arbeiten und haben sich mit dem Ersparten dann eine eigene Existenzgrundlage in der Türkei geschaffen. Wiederum andere arbeiten in der Tourismusbranche und lernten es für ihren Beruf.  Es erinnerte uns sehr an Slowenien: Die ältere Generation sprach deutsch währen die jüngere Generation besser englisch reden konnte. Auch wir hatten inzwischen ein paar Wörter und Floskeln auf türkisch auf Lager was für den ein oder anderen erstaunten Blick und auch viel Lachen führte.

 Was mir sehr gefällt ist „Kolay gelsin“ wobei das „g“ eher als ein „j“ ausgesprochen wird. Übersetzt bedeutet dies “ Ich hoffe deine Arbeit ist leicht / wird leichter“ . Es kommt zum Einsatz wann immer man in einem Geschäft ist oder sich mit einer Person unterhält, die gerade einer Arbeit nachgeht. Wenn eine türkische Frau eine leckere Mahlzeit zubereitet hat, bedankt man sich mit „Ellerine Sağlık“ was auf deutsch so viel heißt wie „Gesundheit für deine Hände“. Es gibt hunderte solcher Floskeln oder Höflichkeitsformen, was ich sehr beneide, denn mir sind nur sehr wenige in meiner Muttersprache bekannt.

Ihr merkt es schon…türkisch ist eine höfliche Sprache und nicht anders haben wir die Türken kennen lernen dürfen.

Nach unserem Zwischenstopp in Mersin fuhren wir ins Landesinnere auf direktem Wege nach Georgien. Leider erlebten wir gerade in diesem Jahr den kältesten Winter seit 30 Jahren in der Türkei. Weg von der sonnigen Küste mussten wir uns bald ganz anderen Problemen stellen.

 Regelmäßig fingen die Temperaturen an unter den Gefrierpunkt zu wandern und oft waren wir aufgrund starken Schneefalls gezwungen an Tankstellen oder direkt neben der Straße zu übernachten. Die Natur wurde wilder, unberührter und schöner. Wir waren konstant auf fast 1700 Höhenmetern unterwegs und abseits der Hauptstraße lag überall ein Meter Schnee. Auch ist im Landesinneren der Tourismus eher selten weswegen wir hier wieder viel mit dem Übersetzer arbeiten mussten um uns zum Beispiel etwas zu essen zu kaufen. Wenn Ragle mal wieder einen Döner oder Dürum mit Lammfleisch wollte, kam es nicht selten vor, dass wir, dem Verständnis halber, einfach ein lautes „Mähhhh“ dem Angestellten entgegen blökten, um ihm unsere Fleischwahl klar zu machen. Der Zweck heiligt die Mittel 🙂

Ein anderes Problem welchem wir uns stellen mussten war das Einfrieren unserer Außendusche. Das war das letzte mal in Bosnien passiert und wir hatten gehofft es würde nicht wieder vorkommen. Falsch gedacht…Es war in Kayseri, einer Stadt auf dem Weg inmitten der Türkei, in der wir uns das erste Mal in ein Türkisches Bad (auch Hamam genannt) wagten. Frauen und Männer gehen streng getrennt in diese Einrichtungen. Was einen erwartet ist, in der einfachsten Form, ein großes Bad (meist vollständig aus Mamor). Nicht einfach ein großer Pool, sondern ein Dampfbad, welches der Reinigung des Körpers und des Geistes dient. Wir bekamen in unserer eher luxoriösen Ausführung in Kayseri auch in den zusätzlichen Genuss einer finnischen Sauna, eines Peelings und einer Massage. Desweiteren wurde alles gestellt, von der Badehose über Seife bis zu den Handtüchern. Die feuchtwarme Atsmosphäre im Bad öffnet alle Poren und bereit einen perfekt für ein Peeling vor. In einem getrennten Raum wo die Massagen und Peelings durchgeführt werden, kam ich mir groteskerweise erstmal vor wie in einem Zuchthaus. Gefüllt mit 12 Tischen und je einem türkischen Masseur ( eher breit als groß und sehr haarig) wurde hier harte Arbeit verrichtet. Es klatschte am laufenden Band mit einem nicht allzuoft, viel zu lautem aufstöhnen des jeweiligen Massierten, wenn die Muskeln zur Entspannung durchgeknetet wurden. Nun das klingt jetzt eher wie eine Horrorversion, aber es fällt mir unglaublich schwer diesen Moment mit Worten zu beschreiben. Ich bekam einen Masseur names Ahmut welcher auch deutsch sprach und hatte erst eine viertelstunde Peeling gefolgt von einer Schaummassage, welche die gleiche Zeit in Anspruch nahm. Ich trat aus diesem Raum wieder heraus mit Babyhaut und konnte kaum laufen vor Entspannung :). Spaß beiseite. Es war eine super Erfahrung welche uns mehrmals aus der Not befreite, wegen eisiger Temperaturen, nicht duschen zu können.

Ein Pärchen welches wir unterwegs getroffen haben und ich unbedingt hier erwähnen möchte, waren Anton und Joni aus Belgien. Die beiden  haben wir zuallererst in einem Strand vor Manavgat getroffen und lediglich kurz beim spazieren geplaudert. Als wir diesen Strand verließen fuhren wir eine halbe Stunde weiter Richtung Osten und trafen Brahm (auch ein Belgier) welcher sich spät am Abend, in unserer Nähe, mit seinem altem Ford, im Sand festfuhr. Er reist schon sehr lange, hatte zwischendurch einen Wohnsitz in der Türkei, eine türkische Freundin und sproch besser türkisch als mancher Einheimischer. Auch an diesem Strand sahen Anton und Joni unser Auto, fuhren aber weiter. Einen Tag später dann trafen wir uns wieder zufällig am selben Strand für die Übernachtung und so beschlossen wir ein paar Tage zusammen zu fahren. Er ist ein Tischler und sie eine Töpferin. Beide waren in unserem Alter und hatten die selben Ansichten. Wir verbrachten viele Abende mit den beiden am Lagerfeuer oder zu viert in unserem Bus mit laufender Heizung, da es auch im März in der Türkei noch sehr kalt war. Ein Highlight war eine Wanderung durch einen Canyon in dem früher eine antike Stadt existierte. Wir waren fast den ganzen Tag unterwegs und hatten eine tolle Zeit mit vielen interessanten Eindrücken. Anton und Joni begleiteten uns bis nach Mersin, wo wir ein paar Tage zusammen die Stadt erkundeten, bevor wir uns trennten um später in Georgien wieder zusammen zukommen. Die beiden sind jetzt auf dem Weg in den Iran. Hoffentlich sehen wir uns wieder.

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